Denkanregende Fragen stellen

Train the Trainer Tipp: Was tun, wenn keiner auf meine Frage antwortet?

Vielleicht haben Sie diese Situation auch schon selbst erlebt: Sie stellen eine Frage – und niemand antwortet. Die Teilnehmenden schweigen. Manche senken den Kopf, andere schauen an die Decke. Einige blicken leer vor sich hin. Keiner reagiert, keiner sagt etwas. Eine unangenehme, beklemmende Stille entsteht. Sie zieht sich so lange hin, bis sich eine oder einer erbarmt und doch noch etwas sagt. Oder bis Sie schließlich selbst die Frage beantworten. So macht es wenig Spaß. Den Lernenden und auch Ihnen nicht.

Schauen wir uns in diesem Train the Trainer Tipp an,  wie Sie reagieren können, wenn niemand oder nur wenige Personen auf Ihre  Fragen antworten.

Möglichkeit  1: Warten

Diese  Strategie geht auf die Didaktikerin Mary Bud Rowe zurück. Sie empfiehlt, drei oder mehr Sekunden lang zu warten, nachdem Sie eine Frage gestellt haben. Den meisten Trainer*innen erscheint die Zeit, in der niemand antwortet, viel länger, als sie faktisch ist. Gerade bei anspruchsvollen Vertiefungsfragen brau- chen die Lernenden Zeit, um ihre Gedanken zu entwickeln. Manchmal ist es schon hilfreich, ein paar Augenblicke länger zu warten, als die innere Uhr uns empfiehlt.

Warten kann zu Antworten führen, muss es aber nicht.  Hier ist Ihr Fingerspitzenge- fühl gefragt: Wenn Sie häufig  zu lange warten, kann  eine  schwere, beklemmende Stille entstehen. Und das Lernen in Ihrem Seminar kann als unangenehm empfunden werden.

Lassen Sie kaum  stille  Denkzeiten zu, kann  es sein,  dass die Teilnehmenden nicht antworten, weil es ihnen einfach zu schnell geht. Mehr zu den Wartezeiten von Mary Bud Rowe finden Sie in meinem neuen Train the Trainer Buch „Lernwirksame Seminare entwickeln und durchführen“ aus dem GABAL-Verlag.

Harald Groß mit dem neuen Train the Trainer Buch

Möglichkeit  2: Die Frage prüfen

Wenn auf eine Frage lange niemand antwortet, habe ich mir angewöhnt, meine Frage kritisch zu überprüfen. Ich frage mich zum Beispiel:

  • Stimmt der Schwierigkeitsgrad meiner Frage? Können die Lernenden darauf antworten?
  • Ist meine Frage möglicherweise so banal, dass es eher peinlich ist, darauf zu antworten?
  • Habe ich eine  Suggestivfrage gestellt und  die Lernenden denken: „Weshalb soll ich da antworten? Er will doch  sowieso nur, dass wir seine These bestätigen!“
  • Habe ich die Frage klar und verständlich formuliert? Oder fragen sich die Teilnehmenden vielleicht, was ich gerade von ihnen will?

Das alles kann und darf passieren. Wir sind ja keine Maschinen, die eine brillante Frage nach der anderen formulieren. Wenn ich merke, dass meine Frage nicht optimal war, beende ich die lähmende Situation rasch. Zum Beispiel so: „Ich merke, dass meine Frage unklar war. Ich mache einen neuen Versuch“ oder  „Da habe ich gerade eine eigenartige Frage gestellt. Ich sage mal, was ich dabei im Sinn hatte …“. Dann geht’s weiter im Seminar. Meine nächste Frage sitzt besser. Und dann steigt auch die Chance, dass Lernende antworten.

Möglichkeit  3: Austausch anstoßen

Wenn einerseits niemand antwortet und ich andererseits meine Frage für gut befinde und für den Lernprozess nützlich halte, bitte ich die Teilnehmenden, sich zu zweit über die Frage auszutauschen. Ich schiebe meiner Frage  – nach der ersten Stille – unaufgeregt einen Zusatzauftrag nach: „Es steht eine spannende Frage  im Raum. Ich bitte Sie, mit Ihrer Nachbarin bzw. Ihrem Nachbarn darüber ins Gespräch zu kommen. Tauschen Sie zwei, drei Minuten lang Ihre  Gedanken aus.“

Der Wechsel der  Sozialform hat häufig eine gute Wirkung. Anstatt sich im Plenum unnötig lange durch die Stille zu quälen, plaudern die Teilnehmenden in einer kurzen Partnerarbeit ungezwungen über die Frage. Nach drei Minuten bitte  ich  die Lernenden zum Ende zu kommen und gebe die Frage  noch einmal in die Gesamt- gruppe: „Wir hören einmal herum. Was waren Ihre Gedanken?“

Oft melden sich jetzt Lernende zu Wort. In der kurzen Partnerarbeit konnten sie ihre Ideen aussprechen, sortieren und prüfen. Viele Stimmen im Raum sind zum Klingen gekommen. Jetzt fällt es deutlich leichter, auch in der Gesamtgruppe zu antworten.

Präventiv können Sie schon zu Beginn Ihres Trainings etwas dafür tun, dass viele Teilnehmenden auf Fragen antworten und sich im Seminar aktiv beteiligen. In der Train the Trainer Ausbildung in Berlin stelle ich gleich am ersten Tag meinen Slogan dazu vor. Er lautet: „Bringen Sie die Stimmen der Lernenden so früh wie möglich zum Klingen.“ Warum? Weil die Wahrscheinlichkeit, dass gar niemand antwortet, erfahrungsgemäß sinkt, wenn die Teilnehmenden früh im Seminar etwas sagen und beantworten konnten. So können Sie der Situation, dass niemand antwortet, geschickt vorbeugen.

Möglichkeit 4: Denk- und Notizzeit geben

In Ihren Seminaren haben Sie es mit ganz unterschiedlichen Lernenden zu tun. Das macht unsere Aufgabe so spannend.

Die Kanadierin Shelle Rose Charvet hat verschiedene motivationale Muster beschrieben. Eines dieser Muster kann hinsichtlich des  Antwortverhaltens der Teil- nehmenden ein hilfreicher Schlüssel sein. Shelle Rose Charvet unterscheidet dabei proaktives und reaktives Verhalten. Beide Muster kennen Sie bestimmt.

Lernende mit proaktivem Muster hören eine Frage und reagieren gerne sofort. Manchmal sogar, bevor die Frage zu Ende gestellt wurde. Sie heben die Hand oder rufen ihre Antwort zu. Lernende mit proaktivem Muster lieben Tempo. Unsere Frage „Was tun, wenn keiner antwortet?“, stellt sich meist gar nicht, wenn ein paar proaktive Lernende im Raum sind.

Ganz anders geht es Lernenden mit reaktivem Muster. Sie hören sich Ihre Frage gerne in Ruhe an und  lassen die Frage auf sich wirken. Und denken darüber nach. Vielleicht machen sie sich Notizen, halten noch einmal inne. Erst dann sind sie bereit, zu antworten.

Wenn in Ihrem Kurs nicht gleich jemand auf Ihre Frage antwortet, könnte es sein, dass Sie es mit mehreren Lernenden mit reaktivem Muster zu tun haben. Diese Lernenden können leichter antworten, wenn Sie ihnen etwas mehr Zeit geben. Reaktive Lernende machen sich außerdem gerne Notizen.

Hier zwei Beispielsätze, über die sich Teilnehmende mit reaktivem Muster besonders freuen:

  • „Lassen Sie die Frage auf sich wirken und denken Sie in Ruhe darüber nach.“
  • „Gerne können Sie sich zur Frage Notizen machen. Wir nehmen uns  ein paar Augenblicke Zeit. Danach hören wir, was Ihnen eingefallen ist.“

Probieren Sie es im nächsten Kurs aus und beobachten Sie, wie die Teilnehmenden darauf reagieren.