Gibt es das ideale Seminartempo?
In der Train the Trainer Ausbildung werde ich oft gefragt, ob ich eine Formel für das richtige Lerntempo kenne. Eindeutige Empfehlungen zur optimalen Geschwindigkeit in Seminaren gibt es nicht. Beobachtungen aus der Lehr-Lernforschung zeigen: Trainerinnen und Trainer sind eher zu schnell als zu langsam.
Langsamkeitstoleranz
Der Didaktiker Andreas Helmke hat den Begriff der „Langsamkeitstoleranz“ eingeführt. Lehrende mit Langsamkeitstoleranz geben Zeit zum Denken, Verarbeiten und Verankern.
Ihre Geduld bewirkt, dass mehr Lernende mitkommen und Lernfortschritte machen können. Das hat unmittelbar Einfluss auf Lernfreude und Lernmotivation.
Vieles spricht also dafür, geduldig zu sein. Und doch fällt vielen Trainerinnen und Trainern genau das oft schwer. Eine innere Stimme drängt, schneller zu machen und (vermeintlich) mehr zu schaffen. Doch es lohnt sich, tief durchzuatmen und unseren Lernenden etwas mehr Zeit zu geben.
„Wir haben Zeit zum Nachdenken“
Vor einigen Jahren wollte ich im Seminar Kopien verteilen. Normalerweise liegt mein Material griffbereit. In diesem Fall aber fand ich die Blätter nicht. Während ich suchte, machte ich mir Vorwürfe für diese unnötige Verzögerung. Es war ganz still im Raum. Da sagte ein Teilnehmer: „Wie angenehm diese Ruhe. Wir haben Zeit zum Nachdenken.“
Was ich als Verzögerung erlebt habe, war für ihn eine wohltuende Denkzeit. Seit diesem Erlebnis halte ich im Seminar immer wieder inne. Ich tue einfach nichts. Häufig kommen schon nach kurzer Zeit erste Gedanken oder Fragen. Dann freue ich mich und denke. „Das wäre nicht passiert, wenn ich im schnellen Tempo durchgezogen hätte.“
Es lohnt sich also die eigene Langsamkeitstoleranz zu entwickeln.
Zwischenbilanzen als methodische Hilfe
Eine gute methodische Hilfe zur gewinnbringenden Verlangsamung ist der Einsatz von Zwischenbilanzen. Es funktioniert ganz einfach. Bitten Sie die Teilnehmenden über die zurückliegende Etappe des Seminars nachzudenken. Eine Zwischenbilanz können Sie bereits nach 30 oder 40 Minuten anleiten. So haben alle die Möglichkeit, zur Ruhe zu kommen und auf den Lernstoff zu schauen. Dies ist in allen Sozialformen möglich: Jede und jeder für sich, in Partnerarbeit, in Trios, Kleingruppen oder im Plenum.
Bei einem Seminar bei der IHK Berlin entstand vor einigen Jahren eine Liste mit hilfreichen Zwischenbilanzfragen:
- Gibt es schon etwas, das du heute gelernt hast?
- Wenn ja, was tust du damit?
- Worauf willst du in deiner Praxis nach dieser Einheit achten?
- Welchen Fehler kannst du mit dem neu gewonnenen Wissen in Zukunft vermeiden?
- Was hast du bislang am wenigsten verstanden?
- Was ist dir heute klar geworden?
- …
Meine Beobachtung nach Zwischenbilanzen: Die Lernenden schauen „aufgeräumter“. Sie hatten Zeit, noch einmal auf den Lernstoff zu schauen. Sie konnten Fragen klären und die Inhalte für sich sortieren und priorisieren. Das löst oft ein angenehmes Gefühl aus und macht bereit für die nächsten Themen im Seminar.