Faule Trainer sind oft gute Trainer

Warum Teilnehmende bei faulen Trainerinnen und Trainern mehr lernen

„Weniger machen, mehr machen lassen“, wurde in den letzten Jahren zu einem zentralen Leitsatz in meiner Arbeit als Trainer.

Was tun Sie, wenn Sie etwas Neues lernen?

Genau jetzt in diesem Moment lesen Sie. Zwischendurch denken Sie nach. Vielleicht notieren Sie ab und zu Ihre Gedanken oder Ihre Fragen. Möglicherweise übertragen Sie eine der kommenden Anregungen nachher auf Ihr anstehendes Seminar. Vielleicht setzen Sie einen der Impulse gleich morgen ganz praktisch um …

Lesen, denken, notieren, übertragen, anwenden … das sind lauter aktive Lerntätigkeiten. Je aktiver sich die Lernenden in Ihrem Seminar mit dem Lernstoff auseinandersetzen, desto höher die Verarbeitungstiefe, desto mehr lernen sie. Darin sind sich die verschiedenen lernpsychologischen Schulen einig.

Was bedeutet das für Ihre Trainings?

Die Teilnehmenden können dann viel lernen, wenn wir sie lernen lassen, wenn wir ihnen viele Gelegenheiten geben, selbst aktiv zu werden. Mein Slogan dazu lautet: „Weniger machen, mehr machen lassen!“

Genau das fällt Trainer:innen – auch mir – manchmal gar nicht so leicht. In Präsenz-, aber ganz besonders in Online-Seminaren erklären wir viel, stellen Fragen, fassen zusammen. Dabei sind wir hochaktiv. So in Aktion, denken wir, unsere Sache gerade besonders gut zu machen. Das aber ist ein Trugschluss!

Wer lernt am meisten, wenn ich Ihnen die Rentenformel erkläre?

Erklären ist ein super Lernweg. Je häufiger ich die Rentenformel vorstelle, desto besser werde ich, desto mehr lerne ich. Um mein Lernen geht es aber nicht. Die Teilnehmenden sollen viel lernen! Machen Sie es besser: Lassen Sie die Lernenden in Ihren Seminaren noch mehr selbst machen.

Vier Praxisbeispiele:

Weniger machen …Mehr machen lassen!
Ich erkläre die Rentenformel.Die Lernenden erklären sich gegenseitig die Rentenformel.
Ich stelle Fragen zum Text.Die Lernenden entwickeln Fragen zum Text.
Ich fasse die Lerneinheit zusammen.Die Lernenden fassen die Lerneinheit zusammen.
Ich berechne den PH-Wert.Die Lernenden berechnen den PH-Wert.

An den richtigen Stellen faul sein

Die Beispiele zeigen, wie viele Gelegenheiten für „Weniger machen, mehr machen lassen“ es im Laufe eines Seminars gibt. Sie können sich immer wieder prüfend fragen: Mache ich das? Oder machen das besser die Teilnehmenden? Auch hier gilt der didaktische Grundsatz: „Alles, was ich übertreibe, ist sträflich!“ Finden Sie also das richtige Maß zwischen „machen und machen lassen“.

Was steht der Faulheit im Weg?

In der Train the Trainer Ausbildung äußern neue wie auch erfahrene Trainerinnen und Trainer beim Gedanken an „Weniger machen, mehr machen lassen!“ manchmal Bedenken. Sie sagen: „Aber geht es nicht schneller, wenn ich es erkläre?“ und „Woher weiß ich, dass die Teilnehmenden dann das Richtige lernen?“.

Ich teile diese Ängste nicht. Zum einen braucht Lernen seine Zeit. Zum anderen weiß ich auch nicht, was die Lernenden für Schlüsse ziehen, wenn ich die Rentenformel erkläre. Das Denken geschieht dabei verborgen in den Köpfen. Lasse ich die Teilnehmenden selbst aktiv werden, wird der Lernprozess deutlich sichtbarer. Werden Sie also ein fauler Trainer, eine faule Trainerin. Mit großer Wirkung für den Lernprozess!

Wie gelingt es mir, fauler zu werden?

Aus der Sammlung meiner Munterrichtsmethoden stelle ich Ihnen zwei einfache Wege vor, mit denen Sie Ihre Teilnehmenden im Training mehr machen lassen können.

Praxis-Beispiel 1: Methode Modelle orakeln

Methode Modelle orakeln

Vor vielen Jahren habe ich in einer Kaffeepause der Train the Trainer Ausbildung am Flip-Chart die Skizze eines Modells visualisiert. Nach der Pause wollte ich es den Teilnehmenden vorstellen. Draußen am Buffet holte ich mir einen Tee. Als ich zurück in den Seminarraum kam, wurde ich überrascht: Ich hatte vergessen, das Flip-Chart mit der Modellskizze umzublättern. Die Teilnehmenden standen um das Chart und erklärten sich gegenseitig das Modell.

Im ersten Moment war ich irritiert. Mein Job war weg. Ich brauchte das Modell nicht mehr erklären. Abends in der S-Bahn wurde mir klar: „Ich muss gar nicht so viel erklären. Ich kann den Lernenden zutrauen, dies selbst zu tun.“

In vielen Stoffgebieten wimmelt es von Modellen: zum Beispiel der Ernährungskreis oder das Dreieck der Vermögensanlage. Anstatt zu erklären „Hier sehen Sie …“ machen Sie es interaktiver: „Ich zeige Ihnen gleich das Modell X. Bitte schauen Sie es sich an.“ Im Präsenz-Seminar mit der Nachbarin, im Online-Seminar mit einem Kollegen in einem Breakout-Room fordern Sie die Teilnehmenden auf: „Überlegen Sie: Welche Zusammenhänge werden hier beschrieben? Wie könnte das Modell funktionieren? Wofür könnte es nützlich sein? Plaudern Sie, vermuten Sie, machen Sie sich Notizen, wenn Sie wollen. Viel Spaß beim ersten Blick auf das Modell.“

Sie als Trainerin, als Trainer schweigen jetzt. Lassen sie die Lernenden denken. Nach zwei, drei Minuten bitten Sie die Teilnehmenden, zum Ende zu kommen und von ihren Gedanken zu berichten. Die Teilnehmenden erörtern das Modell. Sie als Trainer:in hören zu. Vielleicht ergänzen Sie noch ein paar Aspekte. Meist aber werden Sie staunen, wie gut die Teilnehmenden auch komplexe Modelle aus dem Stand erklären können.

Praxis-Beispiel 2: Methode Begriffs-Paten

Aktivierende Methode

Sie steigen in ein Thema mit vielen Fachbegriffen ein. Anstatt sie selbst zu erklären, werden die Lernenden aktiv. In der Train the Trainer Ausbildung sind es bei mir zum Beispiel diese Begriffe: „Weiterbildung“, „Fortbildung“, „Ausbildung“ …

Im Präsenz-Seminar schreiben Sie alle Begriffe einzeln auf Moderationskarten und pinnen die Karten vor Seminarbeginn an der Rückseite einer Pinnwand an.  Im Online-Seminar visualisieren Sie die Begriffe verteilt auf einer PowerPoint-Folie.

Jetzt erklären Sie den Teilnehmenden: „Wir lernen hier viele Begriffe kennen. Jede und jeder übernimmt die Patenschaft für einen Begriff. Sie dürfen sich Ihren Begriff selbst aussuchen. Ich drehe die Pinnwand mit den Begriffen gleich um. Schnappen Sie sich einen Begriff, der Sie anspricht. Sind Sie bereit?“ Jetzt drehen Sie die Pinn- wand um. In manchen Gruppen spurten die Teilnehmenden nach vorn und sichern sich eine Karte. Im Online-Seminar schreiben die Teilnehmenden mit der Kommentarfunktion ihren  Namen neben ihre Wunschkarte.

Wenn sich alle versorgt haben, nennen die Teilnehmenden reihum ihre Begriffe. So kommen sie ein erstes Mal ins Ohr – von den Lernenden gesprochen. Jetzt erklären Sie, wie es weitergeht: „Sie haben einen Begriff gewählt. Ich bitte Sie, sich mit ihm vertraut zu machen. Zur Unterstützung habe ich für Sie ein paar Quellen vorbereitet.“

Wie viel Unterstützung Sie anbieten, hängt von Ihrer Zielgruppe ab. Für Gruppen, die im Recherchieren ungeübt sind, können Sie Kopien oder Links mit kurzen Texten zu jedem Begriff vorbereiten. Lernende, die mit Recherchen vertraut sind, können Sie mit ihrem  Begriff auf eigene Faust losziehen lassen.

Die Lernenden haben die Aufgabe, von ihrem Begriff zu erzählen. Es muss nicht lange dauern. Ein, zwei Minuten reichen vollkommen aus.

Die Wirkung bei beiden Beispiel-Methoden

Beide Methoden bewirken, dass die Lernenden von Anfang an aktiv werden. Schon in den ersten Minuten Ihres Seminars wird klar: Hier arbeitet nicht nur der oder die da vorne. Alle sind gefordert!

Die Lernenden schlüpfen mehr und mehr in die Rolle der Trainerin, des Trainers. Erklären ist ein super Lernweg. Lernen durch Lehren gilt als eine der effektivsten Lernstrategien überhaupt.